Da man das Gekröse bislang nicht als eigenständiges Organ betrachtete, wurde nicht über konkrete Erkrankungen des Mesenteriums gesprochen. Alle Symptome, die in Verbindung mit dem Mesenterium stehen, wurden in der Regel Erkrankungen der benachbarten Organe zugerechnet. Coffey und O’Leary haben in ihrem Artikel in „The Lancet“ beschrieben, wie bekannte Defekte und Fehlbildungen aus Sicht des Mesenteriums eingeordnet werden können.
Grundsätzlich werden Erkrankungen in zwei Gruppen unterteilt, abhängig davon, ob sie „eigenständig“ (primär) oder als Folge einer anderen Erkrankung (sekundär) entstanden sind. Laut Coffey und O’Leary zählen zu den primären Erkrankungen des Mesenteriums verschiedene Lageanomalien, wie Darmverdrehung, innere Hernien, Gefäßfehlbildungen im Mesenterium, Zysten und Störungen der Zellentwicklung.
Darmverdrehung (Volvulus)
Unter einer Darmverdrehung beziehungsweise einem Volvulus versteht man die Verdrehung von einzelnen Darmabschnitten. Bereits bei der embryonalen Entwicklung kann es zu Fehlern in der Entwicklung des Mesenteriums kommen. Wenn der Darm im Zuge dessen nicht ausreichend an der hinteren Bauchwand befestigt wird, kann es im Laufe des Lebens immer wieder zu einer Verdrehung von Darmanteilen kommen. Besonders häufig findet sich ein Volvulus am unteren Ende des Dickdarms (Sigma), direkt vor dem Rektum. An dieser Stelle ist ein Teil des Darms über das Gekröse an der hinteren Bauchwand fixiert, während der Rest frei beweglich ist. Stimmt das Verhältnis zwischen befestigtem und freien Darmanteil nicht, kann es in diesem Bereich immer wieder zu einer Verdrehung kommen, mit teils fatalen Folgen: Wird der Volvulus nicht sofort behandelt, dann bleibt der Darm längere Zeit von der Blutzufuhr abgeschnitten, so dass das Gewebe nicht mehr versorgt wird. Auch die Passage des Nahrungsbreis wird unterbrochen. Zusätzlich zur gefährlichen Stauung, die durch den Darmverschluss entsteht, können durch die Mangeldurchblutung ganze Darmabschnitte absterben.
Fehlerhafte Drehung des Darmes (Malrotation)
Von vorn betrachtet ist unser Darm im Uhrzeigersinn eingedreht. Diese eingedrehte Form erhält er bereits während seiner embryonalen Entwicklung. Findet dieser Vorgang nicht regelrecht statt, wird der Darm nur unzureichend an der hinteren Bauchwand befestigt. In einem solchen Fall spricht man von einer Lageanomalie. Der Darm wird lediglich in geringem Maße durch die Gefäßverbindungen des Mesenteriums in Position gehalten, so dass sich verschiedene Abschnitte um die Befestigungspunkte verdrehen können. Auf diese Weise kann es zum Volvulus (Darmverdrehung) des gesamten Darms mit verhängnisvollen Folgen kommen. Von allen akuten Situationen, die den Bauchraum betreffen, stellt solch ein kompletter Volvulus die häufigste Todesursache bei Kindern im ersten Lebensjahr dar und muss daher sehr ernst genommen werden.
Bildung von Hernien durch Lücken im Mesenterium
Durch Defekte im Mesenterium entstehen Lücken, die dazu führen, dass sich Darmanteile durch diese Kanäle hindurchschieben können. Solche „inneren Hernien“ treten zum Beispiel nach Operationen auf, bei denen Teile des Darms entfernt worden sind oder auch bei Menschen, deren Mesenterium nicht vollständig ausgebildet ist. Nach chirurgischen Eingriffen, bei denen Darmanteile entfernt wurden, muss die entstandene Lücke unbedingt verschlossen werden, insbesondere wenn diese so schmal ist, dass sich eine Hernie ausbilden könnte.
Gefäßfehlbildungen des Mesenteriums (vaskuläre Mesenteropathien)
Defekte an Gefäßen des Mesenteriums gehören zu den häufigsten Erkrankungen des Mesenteriums. Zu den wichtigsten mesenterialen Versorgungsleitungen gehören die obere und untere Gekrösevene sowie die obere und untere Gekrösearterie. Kommt es zu einem Verschluss dieser Gefäße, kann das schnell gefährlich werden. Wenn beispielsweise der Dünndarm von der Blutversorgung durch die Mesenterialgefäße abgeschnitten ist, kann es in kurzer Zeit zum Absterben großer Darmabschnitte kommen.
Zysten des Mesenteriums
Bei Zysten handelt es sich um Hohlräume, die in verschiedenen Geweben des Körpers, wie zum Beispiel Knie, Eierstöcke oder auch im Mesenterium, entstehen können. Diese sogenannten mesenterialen Zysten sind sehr selten und können lange unbemerkt bleiben, da sie keine Symptome verursachen. In manchen Fällen kann es allerdings zur einer abrupten Ausdehnung der Zyste in Folge einer Einblutung kommen, was akute und starke Bauchschmerzen auslöst.
Zelluläre Störungen
Neben den oben genannten Mesenteropathien, berichten die Autoren über Hinweise darauf, dass auch Defekte auf Zellenebene existieren, wie zum Beispiel die sklerosierende Mesenteritis. Bei der Sklerose kommt es zur Verhärtung des Gewebes und damit einhergehend auch zum Verlust seiner Funktion.
Bisher waren die oben beschriebenen Erkrankungen und Fehlbildungen zwar bekannt, es gab aber keine zusammenhängende Beschreibung aus Sicht des Mesenteriums. Dieser Perspektivenwechsel bringt also nicht direkt neue Erkenntnisse mit sich, bietet allerdings bessere Chancen zur Früherkennung von Fehlanlagen, leichtere Ursachenforschung von Symptomen und Krankheiten sowie insgesamt ein besseres Verständnis für die Vorgänge im Bauchraum. Wissenschaftlern kann dieser neue Blickwinkel wichtige Anknüpfungspunkte für neue Studien bieten, um weitere Zusammenhänge zwischen den Funktionen und Fehlfunktionen von Bauchorganen und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit zu finden.
Quelle: Coffey, J. Calvin, and D. Peter O’Leary. „The mesentery: structure, function, and role in disease.“ The Lancet Gastroenterology & Hepatology 1.3 (2016): 238-247.